Laura Thierstein, † 15.4.1946

Rasch tritt der Tod den Menschen an, es ist ihm keine Frist gegeben…

Diese Dichterworte drängen sich auf hier am offenen Grabe unserer Fräulein Thierstein, Prokuristin der Firma Michel A.-G.

undefined Sehr froh und in gehobener Stimmung kehrte sie vor acht Tagen vom Arzt zurück. Er hatte ihr gute Nachricht gegeben wegen ihrem Beinleiden. Beide ahnten jedoch nicht, dass in ihr eine viel schlimmere Krankheit verborgen lag, die sie zwang, am Donnerstagnachmittag der vergangenen Woche aufs Krankenbett zu liegen, aus dem in so unglaublich kurzer Zeit das Sterbelager wurde.

Frau Thierstein ist 1883 in Crémines als drittletztes Kind einer grossen Familie geboren. Nach Absolvierung der Schule in Crémines siedelte die Familie nach Münster und später nach Biel über. Sie benutzte ihre Jugendjahre zur Ausbildung in ihrem Beruf, den sie 1911 aufgab, um ihre charitative Tätigkeit, die sie in ihrem ganzen Leben ausübte, zum ersten mal unter Beweis zu stellen. In diesem Jahr verlor ihr Bruder, welcher in Kanada wohnhaft war, seine Frau. Die kleinen Kindchen der Familie bedurften der mütterlichen Pflege und der alleinstehende Bruder der fraulich-fürsorglichen Hilfe seiner Schwester. So entschloss sich Laura Thierstein, unverzüglich in das damals sehr ferne Land zu reisen, wo sie reichlich Gelegenheit hatte, ihre tatkräftige und selbstlose Aufopferung zu entfalten.

Damals schon bewies die junge, blühende Tochter, dass ihr das Wohl ihrer Mitmenschen und Verwandten mehr galt als das ihrige. Damals schon entwickelte sie ihren fürsorglichen Sinn, ihre treue Gewissenhaftigkeit, Tugenden, die sie in ihrem spätern Leben nie verliessen und die sie bis zur Vollkommenheit beherrschte.

Nach der Wiederverheiratung ihres Bruders kehrte sie nach Jahren des selbstlosen Lebens wieder zurück in die Schweiz, wo sie dank der sich inzwischen angeeigneten Kenntnisse der englischen Sprache im Grand Hotel in Baden eine bedeutende Stelle als Chef-Gérante bekleiden konnte.

Im Jahre 1917, kurz vor der Verehelichung ihrer jüngeren Schwester mit Herrn Juillerat, siedelte sie nach Grenchen über. Die allzu aufreibende Arbeit im Hotel war zu beschwerlich für sie, so dass sie einen Platz im Bureau vorzog. Dieser Platz war bald gefunden. Der Gründer der Firma Michel A.-G., Herr Adolf Michel engagierte die bestausgewiesene Arbeitskraft für seine Steinekontrolle. Wenige Jahre später, 1922, übernahm Herr Michel die Steinefabrikation selber. Wer war nun geeigneter als Frl. Thierstein, dieser neuen Abteilung vorzustehen, nachdem sie vorher Gelegenheit hatte, in die Technik der Uhrensteine Einsicht zu nehmen? Das wusste auch Herr Michel, der ihr die Leitung dieser in der Folge ganz bedeutenden Abteilung übertrug.

Dank ihrer beruflichen Tüchtigkeit und Unbestechlichkeit wurde ihr bald die Führung der Geschäftskasse anvertraut. Diese beiden Aemter hielt sie bis zu ihrem vorzeitigen Tode inne. Aus Dankbarkeit für treue und uneigennützige Arbeit erhielt Frl. Thierstein im Jahre 1934 die Unterschriftsberechtigung, wodurch sie Gelegenheit bekam, bei allen Geschäftstransaktionen einen grossen Teil der Verantwortung zu übernehmen. Sie verstand es wie niemand, die geschäftliche Tätigkeit mit derjenigen eines Engels der Nächstenliebe zu verbinden…..

(Abschiedsworte am Grabe der Verstorbenen von Herrn A. Ochsenbein, Direktor der Firma A. Michel A.-G. am 13. April 1946). [Ebauches Hauszeitung 1946]

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