Jahre der Teuerung waren vorausgegangen, weshalb einsichtige Männer bestrebt waren, durch Einführung von Hausindustrien den Ausfall der Landwirtschaft zu decken [Grenchen. Eine Beschreibung, P.O. Zoller, Solothurn].
Im armen Bauerndorf Grenchen entschied der Gemeinderat 1851, nachdem Strohflechterei und Posamenterie (Spitzen, Stickerei) wenig Erfolg brachten, die Uhrmacherei einzuführen. .
An der Gemeindeversammlung vom 23. Mai 1852 wurde zudem beschlossen, für jeden Fabrikneubau Bauholz abzugeben. Bereits im Jahre 1852 wurde die erste Roh- und Triebwerkfabrik in Grenchen gegründet. Auch Fachleute aus dem Jura wurden nach Grenchen gelockt.
Mathäus Michel, welcher zu jener Zeit in Biel lebte und arbeitete, folgte also dem Rufe Grenchens. Am 15. März 1852 kaufte Mathäus Michel die Parzelle N° 1848 mit Hausplatz, Garten und Gebäude „unten im Dorf am Bach“. Gleichzeitig übernahm er die danebenliegende Parzelle N° 1848A. Auf Verlangen des neuen Eigentümers Mathäus Michel wurden die beiden Liegenschaften vereinigt und unter der neuen No. 5321 eingetragen. Grösse: 1/8 Jucharten & 1/16 Jucharten Zugang gegen Morgen (Total rund 675 m2). Diese Liegenschaft befand sich im Bereich des heutigen Pärkleins beim Girard-Kreisel. Die Schatzung vom 19. November 1852 lautete auf den Betrag von 9’000 Lti (Livres tournois, damals entsprach 1 Schweizer Franken etwa 1,5 Lti).
So wurde dazumal die Lage obiger Parzelle beschrieben:
Morgen: neben der Dorfgass / Abend: neben dem Dorfbach / Mittag: an die Dorfgass / Mitternacht: an Viktor Rüefli [Hypothekenbuch Grenchen Seite 70, Staatsarchiv SO]. Der Kauf der Liegenschaft wurde, wie es zu jener Zeit oft üblich war, mit wenig Eigenkapital, dafür mit Hypotheken von privaten Personen, manchmal vom bisherigen Besitzer oder Institutionen (Gemeinden, Pfarrpfrund, Schulfonds, Stift St. Ursern usw.) finanziert. Banken waren noch wenig im Spiel. Diese Hypotheken wurden später entsprechend den Möglichkeiten der Eigentümer getilgt oder bei einem Verkauf weitergegeben.
Mathäus Michel erhielt vom Gemeinderat Grenchen am 16. Mai 1852 die Niederlassungs-bewilligung. Die Solothurner Regierung sprach ihm am 2. Juni 1852 zudem ein Wasserfallrecht zu, um die Uhrenfabrikation zu betreiben. Mathäus Michel gründete eine Triebwerkfabrikation (fabrication de roues et pignons) und erweiterte zu diesem Zweck die bestehende Liegenschaft.
Etwas später wurde die Liegenschaft mit „Gebäude Nr. 5 / Uhrenfabrik / Holz- & Waschhaus und Stallung“ beschrieben. Der Versicherungswert betrug insgesamt 11’600 Franken.


Mathäus war auch als Weckerfabrikant bekannt.
Hr. Michel, Uhrenmacher in Grenchen, hat einen Wecker erfunden, der beim ersten Feuerausbruch die Bewohner eines Hauses aufweckt. Die sehr zweckmässige Einrichtung soll darauf beruhen, dass durch die verschiedenen Theile des Hauses Schnüre gezogen werden, welche bei einem allfälligen Feuerausbruch verbrennen und den Wecker so zum Losgehen veranlassen. [Solothurner Landbote, 1853, Seite 124]
1853 brach jedoch der Krimkrieg aus, der ganz Europa in Atem hielt, Handel und Industrie lahmlegte und das Uhrengeschäft zum Stocken brachte. Zudem war die Konkurrenz der Firma Japy Frères in Beaucourt sehr stark.
In den Jahren 1855 bis 1859 kaufte Mathäus Michel vier Stücke Mattland: N° 5521 „Vom Leusenmoos“, „N° 4819 vom vordern Moos in Müllers Plätz“, N° 5608 im „Siechenmoos“ sowie N° 1470/5695 „Im Einschläglein“ im Umfang von 5 Jucharten oder 200’000 Quadratschuh. Zwischen 1860 und 1864 verkaufte er diese Grundstücke alle wieder.
Mathäus Michel musste sich wohl nach einer neuen Erwerbsquelle umgesehen haben. 1857 erschien er als Miteigentümer der Firma Stelli Schilt & Cie., welche die obere Mühle in Grenchen übernahm. Die Besitzung beinhaltete eine Wohnung samt Scheune und Mühle, deren vorherige Besitzer waren Franz Schilt (Ammann), Anton Schilt (Garnbucher) und Franz Kessler.
Laut Hypothekenbuch waren Ende 1857 als neue Eigentümer eingetragen: Stelli Schilt & Cie, in Grenchen, bestehend aus Johann Stelli (Bezirkslehrer), Franz Josef Schilt (Arzt), Johann Blaser (Schreiner), Mathäus Michel (Fabrikant), alle in Grenchen und Urs Josef Stelli Josef’s selig, sowie Victor Stelli Viktor’s von Bettlach. Der Wert betrug damals 18’000 Franken. Mathäus Michel agierte wohl als eine Art Geschäftsführer. Er verkaufte die bestehenden Mühleeinrichtungen und liess diese durch eine Zementmühle ersetzen. Die Fabrik produzierte Roman-Zement mit Kalkstein aus den Brüchen im Bützenschwand …. als erste Zementfabrik im Kanton Solothurn [Semper Curiosus].
Später wurde die Beschreibung der Liegenschaft in „Wohnung, Scheune und Cementfabrik“ angepasst. Die Schatzung betrug 1860 17’000 Franken.
Inserat:
[Grenchner Stadtarchiv, Solothurner Landbote?
Auf der Weide des Obergrenchenberges gegen den Bützenschwand hin wurde eine Kalksteingrube zur Herstellung von Zement ausgebeutet. Die Blöcke wurden mit Wagen, deren Räder von alten Kanonen herrührten, zu Tale geschafft. Als Zugtiere dienten jeweils vier Stiere und zwei Pferde. Da die Ladung sehr schwer war, wurde als Bremsvorrichtung ein mit grossen Kalksteinplatten beschwertes Brett gebraucht, abgesehen von den eigentlichen Bremsen und den Schleiftrögen (Hemmschuhen). Bei der Zementmühle wurden die Steine abgeladen. Der Käserei gegenüber erhob sich ein grosser Schuppen, in den die gefüllten Zementsäcke eingelagert wurden [Ein Bauerndorf wird zur Industriestadt, Seite 23 und 25].
Ab Mitte 1862 waren Johann Stelli, Viktor Stelli, Urs Josef Stelli und Mathäus Michel Inhaber der Firma, welche bis 1864 „Stelli Michel & Cie., Cement- und Gipsfabrikation“ (siehe nachstehenden Briefkopf) hiess. Zu dieser Zeit wurde Mathäus Michel im Hypothekenbuch bereits als Wirt bezeichnet. 1864 verkaufte Mathäus Michel seinen Anteil von 4’500 Franken an Otto Buss.


1866 trat Rudolf Zumstein in die Firma ein, welche danach unter „Stelli, Zumstein & Co.“ weiterhin Zement herstellte. Die Zement-Mühle wurde 1873 durch Rudolf Zumstein in eine Uhrenfabrik, später die Société d’horlogerie de Granges, umgebaut.

1860 verkaufte Mathäus Michel seine 1852 erworbene und später erweiterte Liegenschaft mit der kleinen Fabrik an den Uhrmacher Charles-Auguste Grandjean-Perrenoud zum Preis von 23’600 Fr. Die Gebäude waren für 11’600 Fr. „assecuriert“. Diesem Uhrmacher verkaufte Mathäus gleichzeitig auch die Parzelle N° 1470 „Im Einschläglein“ in der Grösse von 7/8 Jucharten.
Am 3. Dezember 1860 erwarb er ein grosses Grundstück von 1 Jucharte im Ober Hallgarten am Staadweg, der heutigen Bahnhofstrasse. Auf dem Grundstück stand ein grosses mit Stroh gedecktes Wohnhaus N° 51 mit einer Schatzung von 1835 im Betrag je 1’450.-. Offenbar war das Haus in zwei Hälften aufgeteilt. Er bezahlte dafür je 4’800 Franken. Zu den vorhandenen Hypotheken gewährte der vorherige Besitzer Urs Joseph Affolter eine weitere Hypothek von 2’016 Franken. Bis im Januar 1862 konnte Mathäus Michel alle Hypotheken im Betrag von 5’472 Franken tilgen. Gemäss Gemeinderatsprotokoll vom 4.12.1862 wurde „Dem Michel Lehrmeister 5/4 Klafts als Gabenholz betrefnis 1862 bewilligt“ für den Bau der neuen Gaststätte.
In den Jahren 1861 und 1862 kauft Mathäus Michel zudem vier andere Parzellen Mattland im Umfang von 2 ½ Jucharten N° 3313 in der „Grenchenwiti beim Birchweg“, N° 3314 „Witi“ (diese zwei Flächen wurden später zusammengelegt), N° 2915 „Riedern oben“ sowie N°5324 „zu Müllers Einschlag“. Die vier Parzellen dienten wohl zur Selbstversorgung seiner Gaststätte.
Auf dem Grundstück an der Bahnhofstrasse realisierte er auf einem hufeisenförmigen Grundriss das Bad Hallgarten, später das Neue Grenchenbad genannt, mit acht Logis, zwei grossen Speise- und Tanzsälen, Trink- und Bierhalle, Badanstalt mit sieben Räumen und hinreichendem Wasser, Hof mit Baum-, Pflanz- und Ziergarten und dazu noch zwei Kegelbahnen. Es galt als Luft- und Badeort. Dafür nahm Mathäus Michel bis 1867 laufend neue Hypotheken im Gesamtbetrag von 43’070 Franken auf. Da er schon 1864 als Wirt bezeichnet wurde, ist anzunehmen, dass er das Lokal unter Betrieb erweiterte.

Hier kam 1865 auch Adolf Michel (später Gründer der Uhrenfabrik A. Michel) als eines von elf Kindern aus der zweiten Ehe zur Welt.
Entweder lief der Betrieb nicht besonders gut oder es gab andere unglückliche Zustände, denn bereits 1867 versuchte Mathäus Michel die Wirtschaft „wegen Familienrücksichten“ zu verkaufen.

Offenbar erfolglos, denn das Neue Grenchenbad sowie die vier Grundstücke Mattland von Mathäus Michel wurden am 4. Juni 1868 infolge Konkurs (Geldstag) versteigert. Für Fr. 43‘035.10 übernahmen die Herren Soutter den Betrieb, 1875 schliesslich übernahmen die Herren Josef Gschwind, Weissensteinwirt, und Basil Roth, Bankier von Solothurn die Liegenschaft für 46‘000 Fr.
Von Solothurn herkommend arbeitete Mathäus Michel ab 1872 wieder in Grenchen als Uhrmacher im eigenen Atelier an der Schlachthausstrasse, fast gegenüber dem Neuen Grenchenbad. Gemäss Grundbucheintrag jedoch trat schon 1870 seine Frau Elisabeth Michel – Andres als Käuferin der Liegenschaften auf:
- 6107 „Breiten“ Hausplatz von 5260 Quadratschuh (rund 474 m²), mit dem Wohnstock N° 295
- 6108 „Breiten an das Moos“ Kulturland von 4915 Quadratschuh (rund 443 m²). Die zwei vorgenannten Grundstücke wurden danach zu einer gemeinsamen Parzelle N° 4129 vereinigt.
- 6131 „Abschnitt Breiten“Kulturland von 1012 Quadratschuh (rund 95 m²)
- 6308 „Breiten an der Moosgass“ Kulturland von 5740 Quadratschuh (rund 517 m²)
- 4942 „Vom vordern Munter“ Kulturland von ½ Jucharten (rund 1800 m²)
- 2654 „Riedern oben“ Kulturland von ¾ Jucharten (rund 2700 m²)
Mathäus Michel wurde in einigen Einträgen als „vergeldstagt“ und „falliten“ Ehemann bezeichnet. Zusammen betrug die Fläche im Bereich „Breiten“ 16’927 Quadratschuh respektive rund 1’530 m2. Dort beschäftigte Mathäus mindestens bis 1877 mehrere Angestellte. In der Einwohnerkontrolle 1868 – 1884 [Stadtarchiv Grenchen] sind ab 1872 zahlreiche Zuzüger aufgeführt , welche als Magd, Taglöhner, Uhrmacher, Uhrmacherlehrling oder Lehrtocher aufgeführt sind.
In den Visitenbüchern der Primarschule Grenchen taucht an der Prüfung vom 8. April 1879 neben Inspektor Wyss, Fabrikant Schild, Adolf Girard, Müller-Bridel und vielen anderen auch „Michel, Uhrmacher“ auf. Um diese Zeit erscheint in diesen Büchern auch ein gewisser „Roth, Lehrer, Bettlach“, später mein Urgrossvater und Schwiegervater von Aline Martha Michel.
Trotz der zunehmenden Tendenz, die Produktion in Fabriken zu konzentrieren, bestanden bis in die 1880er Jahre zahlreiche Ateliers, die wohl als Zwischenmeisterbetriebe funktionierten. Da kaum anzunehmen ist, dass die Atelierschefs selbständig für den Markt produzierten werden sie vielmehr in Grenchen selbst oder im Jura ihre Verleger (Etablisseure) gehabt haben, die Ihnen das Material lieferten und denen die fertige Arbeit zugeschickt wurde.
Am 2. September 1889 meldete Mathäus Michel ein Patent für einen „Federnden Schlagklotz für Küchenzwecke“ an.
Die Liegenschaft Parzelle N° 4129 an der Schlachthausstrasse wurde 1891 an Dr. Gregor Wittmer verkauft. Spätestens zu diesem Zeitpunkt, Matthäus war da 80 Jahre alt, stellte Matthäus seine Arbeit ein.
Matthäus Michel starb im für damalige Verhältnisse hohen Alter von 82 Jahren 1893 in Biel. Seine zweite Frau Elisabeth Andres starb mit 63 Jahren 1895 in Lengnau b/B.
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